Warschau, Türme

Fast sieben Stunden tuckelt der Zug von Berlin nach Warschau. Wir haben Fensterplätze. Eine Dame mit Hund, die gut Deutsch kann, erkundigt sich in unserem 6er-Abteil, ob hier jemand allergisch gegen Hundehaare ist. Nein, niemand hat was gegen das Hündchen. Sie lässt ihr rotes Köfferchen von einem hageren alten Polen, Typ sportlicher Rentner, ins Gepäcknetz wuchten, setzt sich mit Hündchen auf Schoß aufatmend neben mich und beginnt mit dem Polen ein angeregtes Gespräch. In Rzepin steigen zwei Frauen zu, die die Sitzplätze der Hundehalterin und des hageren Polen einfordern; bei dieser Linie besteht Reservierungspflicht. Ein für uns unverständlicher Disput entbrennt. Der Pole zeigt selbstbewusst seine Reservierung, wir wähnen ihn im Recht. Die beiden Frauen holen aber den Schaffner. Der stellt fest, dass das Billet des Polen nur bis Rzepin gilt und dass sich der Sitzplatz der Hundehalterin in einem anderen Abteil befindet, in dem jedoch jemand allergisch gegen Hunde ist. Das ganze in höflichem gesetzten Ton. Beide räumen ihre Plätze, das Hündchen muss dann im Gang bleiben und was mit dem schon recht frechen polnischen Rentner passiert, wissen wir nicht.

Kulturpalastbesuch, schon wegen der Geschichte: Stalin „schenkte“ ihn der im Krieg von den Deutschen völlig zerstörten Stadt – bei Fertigstellung 1955 war er das zweithöchste Gebäude Europas. Prima Ausblick von oben. Unten umrandet von Blumen in Beton.

Złota 44. Das nach Entwürfen von Libeskind gebaute Hochhaus in der Mitte heisst so nach seiner Postanschrift.

In den Samsungturm kann man reingehen, sich was im Bistro holen und hinten wieder rausgehen.

Da sitzt man dann zwischen Türmen und betrachtet munteres Kindertreiben, blasse beanzugte Büroarbeiter und blasse dünne Jeansmänner, die auf eine Zigarettenpause um den Standaschenbecher schlendern. Vorne links ist gerade einer. So ähnlich wie am Potsdamer Platz, nur viel mehr Wasser.

Jahrestag vom Beginn des Warschauer Aufstands. Feierlichkeit und viele Fähnchen.

In der Altstadt erinnern aufgestellte Tafeln an den Exodus.

Leszek zeigt uns einen wunderschönen großen Friedhof.

In der Wand werden Leute mit Namen bestattet.

Im Stadtteil Praga, der gerade dabei zu sein scheint, sich in Richtung Prenzlauer Berg zu entwickeln, findet man Graffiti…

… und Straßenzüge mit Ruinen. Bauliche Aktivitäten an jeder Ecke, viele frisch hochgezogene Wohngebäude, einige „gated communities“. Neureichschicke leben hier neben Altarmkaputten – bis die vertrieben werden, man ahnt es.

Warschaus Unibibliothek…

… mit großem botanischen Garten auf dem Dach. Hier geht es hoch.

Hier ist man oben. 1,5 ha Dachgartenfläche.

Es gibt verschiedene Blicke von oben in die Bibliotheksräume und Hallen.

Zu schön, stundenlang könnte man herumschlendern. Aber die Sonne brennt, man ist schon viel rumgelaufen, man ist erschöpft und hat Durst.
Für mich der schönste Dachgarten auf großartiger Architektur ever.

Zur Weichsel (übrigens poln. Wisła, engl. Vistula) kommt man bequem vom Stadion aus.

Ein paar Treppen hoch und sie überqueren.

Freilufttheater war auch. Tochter, Mutter und Großmutter halten nacheinander lange emotional aufgeladene Monologe. Leider nichts verstanden, aber gute Atmosphäre und man kann einfach mal verschnaufen.

2 Gedanken zu „Warschau, Türme

  1. Da habe ich ganz neue Seiten von Warschau entdeckt; der Dachgarten wird bei unserem nächsten Besuch ein Muss sein: spektakulär. In Praga waren wir auch, fühlten uns aber als Touristen teils ein bisschen unbehaglich, eher wie Voyeure. Trotzdem haben die Kneipen, wie z.B. „In den Dünsten des Absurden“ schon allein vom Namen begeistert. Auf jeden Fall sollten wir nicht wieder im Winter fahren; die Lust dazu ist jetzt geweckt! Habe gleich ein bisschen rumgeguckt und einen netten Artikel von Steffen Möller entdeckt. Der von dir fotografierte blasse Jungspund könnte ein „Lemming“ sein:
    https://www.welt.de/reise/staedtereisen/article138301716/In-Warschau-gibt-es-mehr-Hipster-als-in-Berlin.html

  2. Das abwertende „Einmachgläser“ für aus der Provinz Zugezogene scheint auf anderes Ernährungsbewusstsein der neureichen Warschauer hinzuweisen – während in Berlin nicht industriell Hergestelltes und natürlich Konserviertes als hipp und trendy gilt.
    Das Büchlein von Mely Kiyak hab ich sehr gern gelesen!

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